Der Püsserkrug

Die kleine Straße „Am Püsserkrug“ und neuerdings eine Gedenktafel erinnern an die über 300jährige Geschichte dieser Traditionsgaststätte, die der Kern der Gartenstadt war.

 

Erbaut wurde an dieser Stelle 1651 ein Katen durch einen Max Bahr, dessen Haus einem Schweriner Stadtbrand zum Opfer gefallen war. Es ist unklar, warum Bahr sich gerade hier ansiedelte und ob er von Anfang vorhatte, dort ein Wirtshaus einzurichten. Bekannt ist jedenfalls, dass sein Enkel Christian Bahr 1746 offiziell die Erlaubnis beantragte, Alkohol auszuschenken. Da ging allerdings der Ausschank schon einige Zeit, wie zeitgenössische Quellen vermuten lassen. Dort heißt es: Überdem hat man in Erfahrung gebracht, daß dieser Christian Ulrich Bahr eine schlechte Wirthschaft führe, in dem Kahten loses Gesindell auffsacke und dadurch die Soldaten aus der Garnison an sich diene, wodurch viele Desordres erwachsen, immaßen denn auch die Schlägereien zwischen einem Soldaten und dem Jäger vor kurtzer Zeit daher entstanden sind, daß die Soldaten in Bahrs seinem Kahten bis in die späte Nacht gesoffen hatten.“ Gleichwohl wurde die Erlaubnis erteilt.

1748 wird vom „sogenandten Pusserkathen“ berichtet. Zum ersten Mal wird hier der Name „Püsser“ verwendet. Wobei die Bedeutung dieses Namens unklar bleibt. Die Lage an dem kleinen Bach zwischen Ostorfer und Faulen See, später nach dem Wirtshaus Püsserbeke genannt, hatte seine Vor- und Nachteile. Günstig war, dass jeder Reisende, der von Süden oder Osten nach Schwerin kam, die kleine Furt direkt neben dem Haus nutzen musste. Das brachte Kundschaft. Problematisch war allerdings, dassauch alle durchziehenden fremden und eigenen Heere unmittelbar an der Gastwirtschaft vorbei kamen – in den Akten finden sich daher bis zu den Napoleonischen Kriegen mehrfach Hinweise auf Plünderungen.

Zugleich bot diese Alleinlage weit vor den Toren Schwerins und auch noch mehrere hundert Meter vom Dorf Ostorf entfernt eine gewisse Ungestörtheit gegen nachbarliche und behördliche Überwachung, was von den Betreibern bis weit ins 19. Jahrhundert gerne ausgenutzt wurde. So hieß es Mitte des 18. Jahrhunderts, dass dort trotz der damals sehr strengen Sonn- und Feiertagsruhe „des Sonntags daselbst gespielt und von allerley jungen Leuten beyderley Geschlechts getanzt und unordentlich gelebet werde.“ Vermerkt ist später, dass „besonders aber in den sogenannten Püsser-Kathen (…) an Sonn- und Festtagen bis in die späte Nacht musicirt, getanzt, gespielt und getruncken wird“ oder „ferner auf der Püßer Kathen des Sonntags beständig getanzt würde“. Die Anweisungen des Herzogs, diese Unsitte zu unterbinden, hatten keinen dauerhaften Erfolg.

1820 übernahm Bernhard Georg Schürmann die Wirtschaft, dessen Nachfahren den zwischenzeitlich deutlich ausgebauten Krug nun anderthalb Jahrhunderte bis zu seinem Ende führen sollten.

Als 1831 die Cholera Schwerin bedrohte, setzte man an den Zufahrtswegen Wachtposten ein. Jeder, der nach Schwerin hinein wollte, wurde zunächst einmal in Quarantäne genommen. Eine der Cholerawachen fand am Püsserkrug statt, wo eben gleich mehrere Handelsrouten zusammen kamen. Auf dem Bild des Malers August Achilles kann man zum ersten Mal den Krug (rechts) und seine Umgebung bildlich sehen.

Im Püsserkrug selbst blieb erstmal noch alles beim Alten – man feierte und trank. Eine weitere bekannte Lithografie von August Achilles aus dem 1844 „Der blaue Montag im Püsserkrug“ zeigt die Szenerie: In den kommenden Jahrzehnten veränderte sich der Püsserkrug und wurde zu einer angesehenen Gaststätte. Hierzu trug zum einen die aufrückende Bebauung der Stadt bei, zum anderen die Entwicklung eines breiteren Bürgertums, das sich am Wochenende mit der Familie gerne im Grünen entspannen wollte. Eine ganze Reihe von Ausflugswirtschaften entstanden in dieser Zeit rund um Schwerin. Postkarten aus dieser Zeit verdeutlichen diese Entwicklung. Da wird dann der Biergarten des Püsserkrugs dargestellt und die Gaststätte als „Beliebtester Sommerbelustigungsort“ beworben.

Anfang Oktober 1907 warb der Püsserkrug noch ganz in diesem Sinne mit einer Annonce „Morgen, Sonntag: Großes Gartenkonzert, mit nachfolgendem Familien=Kränzchen.“ Doch wenige Tage später brannten der Krug zum größten Teil ab.

Allerdings begannen schon kurz darauf die Planungen und die Bauarbeiten für einen neuen Püsserkrug, der nur ein Jahr später wieder eröffnet werden konnte, diesmal mit einem Ziegeldach. Als ab den 1920er Jahren die ersten Bauten der Gartenstadt und später die Kasernen unweit des Püsserkruges entstanden, entwickelte sich der Krug neben seiner Nutzung als Ausflugsgaststätte faktisch zu einem Dorfzentrum, das er mehrere Jahrzehnte blieb.

 

 

Eine in der Gartenstadt aufgewachsene Schwerinerin gibt ein schönes Bild vom Püsserkrug in dieser Zeit:

Der Püsser-Krug, der war ein bisschen wüst, ein bisschen lauschig. Er ging bis an den Püsser, den kleinen Bach, heran. Durch den Bach wurden auch die Kühe durchgetrieben, aber wir gingen auch da durch, wenn wir von der Schule nach Hause kamen. Da gab es noch eine kleine Brücke, von der ich heute noch manchmal träume. Aus meiner Sicht als Kind war der Püsser Krug eine Kneipe. Ich weiß später, im Krieg, da holte man sich die Lebensmittelmarken, da war eine Einkaufsmöglichkeit. Da konnte man Altpapier und Altmetall abgeben. Es war ‚möhlig‘. Drum herum standen unter Bäumen Tische und Bänke. Und eine Sache war für uns Kinder sehr bemerkenswert: die ganze Adventszeit hing auf dem Haus ein beleuchteter Stern, das war etwas bemerkenswert Schönes. Für uns hieß es da immer, dass wir ‚bis zum Stern‘ laufen durften, um uns daran zu freuen oder dem Vater entgegen zu gehen, wenn er von der Arbeit kam.“

In seiner besten Zeit hatte der Krug neben der eigentlichen Gaststätte mit Saal noch eine Kegelbahn und einen Tennisplatz. Doch diese Blütezeit endete mit dem Beginn des 2. Weltkriegs. Die bisherigen Kunden wurden zum größten Teil eingezogen. Der Krug selbst wurde dann auch anderweitig genutzt. Zunächst wurden dort ab 1941 freiwillige „Arbeitsmaiden“ untergebracht, danach 1943 Zwangsarbeiter aus den besetzten Oststaaten, später italienische Militärinternierte. Als letzter Gastwirt verstarb Richard Schürmann 1943; sein Sohn war eingezogen und konnte daher die Geschäfte nicht übernehmen. 1944 fiel auch noch der Schwiegersohn.

In den letzten Tagen des 2. Weltkriegs strömte am Püsserkrug alles zusammen. Während über die Hagenower Chaussee von Süden die Amerikaner anrückten, kamen von Osten Zehntausende von Soldaten und Flüchtlingen. Hinzu kamen auch Überlebende des Todesmarsches der Konzentrationslager, unter denen auch Überlebende aus Ausschwitz waren. Als die Amerikaner an der Hagenower Straße auf einer Wiese deutsche Kriegsgefangene sammelten, hielt ein Kameramann sogar zufälligerweise den Püsserkrug im Bildhintergrund fest.

 

Der Püsserkrug wurde wie weite Teile der Gartenstadt von den Siegern requiriert, erst von den Amerikanern, dann den Briten, dann den Russen. Der Krug befand sich danach in einem schlimmen Zustand. Die städtische Wohnungsverwaltung, die den Püsserkrug auf Wunsch der Eigentümer in ihre Verwaltung übernahm, richtete in dem Gebäude einen Konsum ein. Hier kaufte die Gartenstadt ein, hier traf man sich. In einem Nebengebäude wurden eine Stadtteilbibliothek und eine Mütterberatungsstelle eingerichtet, in der Kegelbahn entstand der erste Kindergarten der Gartenstadt. Doch die staatliche Verwaltung tat dem Gebäude nicht gut. Immer größer wurden die Schäden am Gebäude, die nicht behoben wurden. Das Gebäude verkam mehr und mehr. Als der Konsum und ein Teil der Bewohner aus dem Obergeschoss Ende der 1960er Jahre auszogen, wurde überhaupt nichts mehr gemacht.

1974 wurde ein Teil des Grundstücks für eine Straße enteignet. 1979 wurde der Krug nach Auszug der letzten Bewohner von der Stadtverwaltung kurzerhand abgerissen – ohne Zustimmung der Eigentümer. Das Grundstück wurde verkauft. Heute steht hier ein neues Einfamilienhaus.

 

Wir bedanken uns bei Herr Dr. Wolfgang Leist für seinen geschichtlich, geschriebenen Beitrag und das große Arrangement.